Von Klaus Feske

Dieser Bericht widmet sich unerhörten Vorgängen im Dresden der achtziger Jahre des verflossenen Jahrhunderts. Wie war das in jener Zeit  im Dresdner Elbtal, dem Tal der Ahnungslosen? Die Sehnsucht nach Information war hier größer als die Heimatliebe, denn hinter den sieben Bergen im Elbtal war Sendepause und so kehrten viele Dresdner ihrer Heimatstadt ihren Rücken.

Ein Häuflein wild entschlossener Leute am Südrand der Stadt wollte Abhilfe schaffen und begann 1983 dem Informationsnotstand zu Leibe zu rücken. Am 9. April 1988 sorgte dann ein ungeheuerlicher  Vorfall für helle Aufregung in Dresden. Man fragte sich: “Dürfen die denn das?“

Rückblickend ist es eine recht amüsante Geschichte, wenn uns auch damals manchmal die Knie schlotterten.

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Der Entführung erster Teil: terrestrischer Fernempfang

 Unter dem Deckmantel unserer neu gegründeten Bürgergemeinschaft „Großgemeinschaftsantennenanlage – GGA“ begannen wir mit kühnen  Antennenkonstruktionen ein nahezu unlösbares Problem anzupacken. Hauptobjekt der Begierde war das erste Programm der ARD auf Kanal 7 aus Westberlin.  Das Signal war schwach und war starken Schwankungen ausgesetzt.  Das hätte uns sicher kaum erschüttert, wäre da nicht die Boshaftigkeit der Deutschen Post, die ausgerechnet auf dem gleichen Kanal  vier sogenannte Füllsender rund um Dresden platziert hatte. Das tat sie, um Täler im Schatten des Fernsehturms auszuleuchten aber vor allem, um allen Fernempfangsversuchen der Dresdner den Garaus zu machen. Wie man aber im Bild 2 sieht,

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ist uns eine aufwändige und raffinierte Lösung eingefallen. Sie bestand aus einer  genau dimensionierten Zweiergruppe von Lang-Yagi-Antennen. Den Abstand der Antennen haben wir so gewählt, dass das Richtdiagramm der Gruppe genau bei  10 Winkelgrad neben der Hauptempfangsrichtung eine Nullstelle besaß. So haben wir erst einmal den größten Bösewicht, den Füllsender Radebeul -Lößnitzgrund ausgelöscht. Weitere separate Antennen sorgten mittels Amplituden- und Phasenkompensationsschaltungen für das Killen der übrigen Füllsender. Und so gab es hin und wieder außer Schneegestöber auf den Fernsehgeräten des Wohngebietes auch mal Westempfang. Besonders stolz war ich auf meine im Hintergrund auf Bild 2 zu erkennende Konstruktion einer UHF-vier-über-vier-Gruppenantenne für das TV-Programm SFB 3, bestehend aus 8 Stück 30-Elemente-Langyagi-Antennen.

Auch das Verlangen nach Musik der legendären UKW-Programme RIAS 2, Bayern 3 oder Hessen 3 war riesengroß. Ihre Signale erwiesen sich aber leider als 3 winzige Nadeln im Heuhaufen des alles überlagernden Nahfeldes des Dresdner Fernsehturms. Jedenfalls hatten wir auch das als Herausforderung für unkonventionelle ingenieurtechnische Ideen angesehen und unsere Freude an den gefundenen Lösungen.

Der Entführung zweiter Teil: Der Satellitenempfang im Jahre 1988

So richtig zufrieden waren wir nicht. Wir hatten mittlerweile etliche Neubaublöcke auch über Erdkabel mit unserer Kopfstation verbunden aber es nervte die instabile Empfangsqualität.

Was tun? Gab es nicht damals schon den Fernmeldesatelliten ECS? Er strahlte mit sehr schwacher Leistung und war nicht für die öffentliche Nutzung vorgesehen. Den einfach anzuzapfen – das wäre toll! So etwas war zwar im Westen nicht erlaubt aber bei uns?!  Man brauchte allerdings einen sehr großen Parabolspiegel und nicht kommerziell vorhandene Satellitenempfangstechnik. Die Lage war hoffnungslos, packten  wir es also an.

In Amateurfunker-Kreisen kursierten schon erste Schaltungen und Experimente. Außerdem wurden bereits damals im ZRF (Zentralinstitut für Rundfunk- und Fernsehtechnik) in Dresden Entwicklungsprojekte zum Thema Satellitenempfang gestartet und einer  von uns saß dort an der richtigen Stelle.

Wir begannen also unter dem Mantel der Verschwiegenheit mit unserer Piratenaktion Satellitenempfang. Viele harte aber reizvolle Nüsse mussten geknackt werden: Ein großer Parabolspiegel mit 2,50 Meter Durchmesser war notwendig und musste her.

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Er wurde in einer Garage in der Lausitz aus glasfaserverstärktem Epoxidharz gefertigt und mit einer Metallisierung ausgestattet. Mit dem Trabi ging’s dann im schaukelnden Anhänger über 80 km Landstraße bei strömendem Regen nach Dresden. Die Bilder 3 bis 5 zeigen das Monstrum am Tag der Montage.

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In einem Vorgarten wurde der Spiegel mit LNC (Low-Noice-Converter) und Halterung vormontiert (Bild 3). Neugierigen Passanten gaben wir bereitwillig Auskunft: „Das wird ein Goldfischteich“.

Die auf Bild 5 erkennbare Tragwerkskonstruktion wurde besonders sorgfältig berechnet und mit einem baustatischen Nachweis untermauert, denn sie sollte  ja allen Anfeindungen und genauso auch Extremwetterbedingungen standhalten. So wurde sie u.a. auch für horizontale Schublasten von ca. 6 Tonnen dimensioniert.

Nur der LNC war keine Eigenentwicklung. Ein begeisterter potentieller  Nutznießer war Mitglied der Staatskapelle Dresden und „besorgte“ das wertvolle Stück  im Instrumentenkasten aus dem NSW. Die aufwändige Elektronik zur kopfstationsgerechten Signalaufbereitung haben wir dagegen selbst entwickelt, aufgebaut und in Betrieb genommen. Da durfte nichts ans Tageslicht kommen. Den Tag X unserer Blitzaktion haben wir bewusst gewählt: Kurz vor dem ersten Mai, am Samstag dem 9. April 1988 sollte es passieren. Wir hofften, falls die Aktion an diesem Tag glückt und tausende Dresdner mit einem Schlag rauschfreien Satellitenempfang haben, dass dann die „Offiziellen“ von Dresden das Rad nicht mehr zurückdrehen konnten. Die Bevölkerung sollte ja zu den Maifeierlichkeiten bei guter Laune gehalten werden.

Bergsteiger halfen, die „Riesenschüssel“ an der Giebelwand des WBS-70-Blocks aufs Dach zu hieven (Bild 4). Das Tragwerk war auf dem Dach schon vormontiert, Elektronik und TV-Monitor waren bereit. Gegenüber stand die Schule und meine beiden Söhne erzählten am Nachmittag, dass im Unterricht alles zu sehen war und die Gesichter der Schüler an den Fenstern klebten. Lehrerin 1: „Sofort verschwindet ihr von den Fenstern! Das hat uns nicht zu interessieren!“ Lehrerin 2: „Seht mal, Kinder, endlich geht’s los.“

Aber unser Angstschweiß stand uns auf der Stirn, denn wir fanden den Satelliten einfach nicht. Der große Spiegel hatte ja einen extrem kleinen Brennfleck. Nach vielen bangen Minuten endlich tauchte das Testbild von RTL plus aus dem Rauschen des Monitors auf (Bild 6).

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Schnell das Tragwerk fixieren und rein mit dem Signal ins Kabelnetz! Mitbewohner tauchten auf dem Dach mit Kaffee und Brötchen auf und Sekt gab es auch. Erst später erfuhren wir, dass die Dresdner Feuerwehr in Alarmbereitschaft stand, um mittels Schweißbrenner alles wieder zu beseitigen. Aber das Satellitensignal war eben schon unwiederbringlich in den vielen Wohnzimmern angekommen. In den folgenden Tagen hieß es für uns, ein dickes Fell anzulegen, denn es war der Teufel los. Über die Bezirksdirektion der Deutschen Post wurde der Rat der Stadt Dresden informiert, der seinerseits in schroffem, sozialistischen Amtsdeutsch der Wohnungsgenossenschaft folgendes anwies: „Ich fordere Sie auf, im Zusammenwirken mit den zuständigen Organen der Deutschen Post mit allen Ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln einschließlich der Anwendung von Ordnungsstrafverfahren die Rechtsnormen in Ihrem Verantwortungsbereich durchzusetzen und uns schriftlich bis zum 27.5.88 über die eingeleiteten Maßnahmen zu berichten.“ Aber es gibt auch die andere Seite der Medaille: In jenen Tagen rief uns ein leitender Mitarbeiter der Bezirksdirektion der Deutschen Post an, gratulierte uns zu dem technischen Erfolg und bat uns, die Anlage besichtigen zu dürfen. Jedenfalls gab es in der Folgezeit neben der Erweiterung der Kopfstation um weitere Satellitenprogramme (siehe Bild  7), viele Nachnutzungswünsche von anderen Antennengemeinschaften Dresdens und eine  schnelle Vergrößerung unseres Kabelnetzes auf fast dreitausend Anschlüsse, also nahezu neuntausend Dresdner Nutzer.

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Aber was geschah nach der Wende? Es gab nun ganz andere Begehrlichkeiten und wir mussten sehr aufpassen, dass es uns nicht an den Kragen ging. Also galt es, den Lötkolben gegen das Bürgerliche Gesetzbuch zu tauschen und für Rechtssicherheit zu sorgen. Verschiedene „Kabelhaie“ aus dem Südwesten Deutschlands lauerten, um die fette Beute unserer großen Teilnehmerzahl und modernen Infrastruktur (Wir hatten bereits damals 800-MHz-Breitband-Technik) zu schlucken. Aber selbst als eingetragener Verein waren wir nicht sicher. Es begann ein zäher, fast drei  Jahre andauernder Rechtsstreit um die Streichung unseres Vereins aus dem Vereinsregister beim Registergericht. Unsere Rettung: Wir haben uns schon zu DDR-Zeiten ein dickes Fell zugelegt. So gab es nach Durchlaufen mehrerer Instanzen schließlich am Landgericht 1997 folgenden Beschluss: „Auf die als sofortige Beschwerde zu behandelnde Erinnerung der Beschwerdeführerin vom 30.11.1994 werden der den Widerspruch des Vereins zurückweisende Beschluß des Amtsgerichts Dresden – Registergericht – vom 15.11.1994 sowie die Löschungsankündigung des Registergerichte vom 24.08.1994 aufgehoben.“  Alles klar? J

Und wie steht es heute um den Verein? Ja, ja er lebt noch! Unser Verein besteht noch heute als Kabelgemeinschaft Coschütz-Plauen e.V. (www.kabeltv-coschuetz.de/) mit eigener, moderner Kopfstation und besonders kleinen Mitgliedsbeiträgen. Er trotzt allen Versuchen, von anderen Unternehmen geschluckt zu werden. Es geht nun alles seinen kapitalistischen Gang mit einem gewaltigen Programmüberangebot, Digital-Bouquets, HD-Qualität, Internet und Telefon über TV-Kabel. Aber wo ist bloß unser Wissensdurst geblieben!? Wissenschaftliche Neugierde und ingenieurtechnische Abenteuerlust sind schnell der Frage gewichen: Bei welcher zu bestellender Technik stimmt das Preis/Leistungsverhältnis. Die Wartung  der Technik hat eine Firma übernommen und in der Vereinsarbeit rücken medienpolitische und wirtschaftliche Fragen in den Vordergrund. Es war also Zeit, sich entspannt zurückzulehnen, um das weitere Geschehen mit einem lachenden und einem weinenden Auge zu begleiten und natürlich, um in Erinnerungen zu schwelgen…

Das kommt Euch bestimmt bekannt vor.

P.S.: Es gibt noch 3 Videos zu der ungeheuerlichen Begebenheit im April 1988:

  • „Tag X auf super 8“
  • Bericht in den ARD-Tagesthemen u.a. zur Antennenanlage und zur vorläufigen Festnahme eines neugierigen ARD-Korrespondenten
  • Interview mit Hillig und Feske vom damaligen Vorstand beim RTL-Frühstücksfernsehen

Vortrag mit technischen Details.